zurück                        Ein Kirchturmknopf erzählt                  Originaltext

„Die Ruppiner“, 1.Beiblatt meldet Neuruppin, 9. September 1932:

 

                                Ein Kirchturmknopf erzählt...

 

Wie noch innerlich, hatte sich die Natur am 1. April in Rüthnick

Einen etwas derben Aprilscherz erlaubt. Dort war aus tatsächlich heiterem Himmel, ein kleines Wölkchen ausgenommen, ein Blitz in den Kirchturm gefahren. Zum Glück war es ein kalter Schlag, der aber um so mehr im Mauerwerk und Turmdach sich auswirkte.

 

Bis vor kurzem dauerten die Verhandlungen, solange irrten alle möglichen Schriftstücke von Stelle zu Stelle, vom Hochbauamt zur Versicherung, zum Konsistorium und wieder zurück. Jetzt sind die Arbeiten schon munter fortgeschritten. In der Kugel, die durch einen leichtsinnigen Schützen vor langer Zeit verletzt wurde, fand man eine stark verrottete Büchse, in der sich eine bis zum Anfang des vorigen Jahrhunderts zurückreichende Urkunde befand. Sie ist zwar stark vergilbt und der Rost erschwerte die Entzifferung ungemein. Nach vieler Mühe ist sie dem Lehrer Siebert schließlich doch gelungen. Wir lassen das Ergebnis seiner Arbeit folgen:

 

Abschrift der am 26. August 1932 im Turmknopf der Kirche zu Rüthnick aufgefundenen Urkunde.

Am 15. August 1803, in der Nacht, brach auf dem Gehöft des Bauers Chr. Lahn Feuer aus. Dieses Gehöft, wie auch das des Bauers Fr. Franz, das nur 15 Schritte von der Kirche entfernt lag, brannte gänzlich nieder. Das Feuer ergriff zugleich den mit Schindeln gedeckten und mit Brettern bekleideten Turm, welcher mit der Kirche zugleich in Asche gelegt wurde.  Die 3 schönen, harmonisch klingenden Metallglocken schmolzen ein. Die Turmfahne trug zwar die Jahreszahl 1695, welche aber nicht das Jahr  der Erbauung der Kirche, sondern wohl die Zeit der Aufsetzung des Turmes und der Reparatur der Selben angab. Die aus Feldsteinen massiv erbaute Kirch wurde für viel älter gehalten.

 

                Neu erbaut wurde die Kirche von 1804 bis 1806 durch den Maurermeister Dense. Der Maurerpolier Brandt und Zimmerpolier Schönfeld setzten am 15. August 1805 die Fahne und den Knopf auf. 2 Metallglocken, resp. 9 Ctr und 5 Ctr schwer, erhielt der Turm. Am 5. März 1806 wurde die Frau des Krügers Franz unter dem Geläute der neuen Glocken beerdigt und die Leichenpredigt vom Pfarrer Titius in der neuen Kirche gehalten, obwohl sie noch nicht eingeweiht war.

 

Bei dem großen Brand im Jahre 1811 am 18. Juni nachmittags während eines heftigen Sturmes wurde ein großer Teil des Dorfes, nämlich 7 Bauern-, 3 Kossätengehöfte, das Lehnschulzengut, die Pfarre und auch abermals der Turm in Asche gelegt. Die schönen Glocken schmolzen ein, die Krone wurde gerettet. Nach Beendigung des Pfarrhauses im Jahre 1817 wurde erst der Neubau des Turmes im Jahre 1819 begonnen und vom Zimmermeister Ranfft und Maurermeister Söhnel zu Neuruppin ausgeführt. Leider erhielt Rüthnick trotz allen Sträuben statt der früheren schönen Metallglocken 2 gußeiserne, dumpf tönende Glocken, resp: 10 Ctr 67 Pfund und 4 Ctr 74 Pfund schwer, die dann am 25. Februar 1820 zum ersten Mal eingeläutet wurden.

 

                Im Jahre 1849 wurde auf dem Turm eine neue Uhr aufgestellt, der Kosten die Kgl Regierung getragen hat. Am 1. November hörte man sie zum ersten Mal schlagen. Sie kostete 320 Thaler und wurde vom Hofuhrmachermeister Möllinger aus Berlin gefertigt und aufgestellt.

 

Am 14. August 1853 erhielt endlich, auf eindringliche Verwendung des Predigers Schulze und des Schulzen Maaß, der Turm zu Rüthnick statt der eisernen Glocken 2 Metallglocken, gefertigt von dem Glockengießer C Rubon zu Berlin, resp: 6 Ctr 63 Pfund und 3 Ctr 57 Pfund wiegend; bei der sehr erhebenden Feier der Glocken waren auch u.a. der Landrat von Schenkendorf, der Domainrat von Schmidt und der Kreis-Sekretair von Banchet gegenwärtig.

 

                Am 18. Juli 1858 wurde die neue Orgel in der Kirche zu Rüthnick eingeweiht. Erbaut ist sie von Lüdtkemüller aus Wittstock und kostet 600 Thaler. Davon hat die Gemeinde 300 Thaler gezahlt. Die Beiträge der Gemeinde sind durch Sammlung aufgebracht, zu denen u.a. der Prediger Schulze 25 Silbergroschen, der Lehrer Hertel 10 Thaler, die meister bäuerlichen Wirte 10 Thaler, außerdem alle Ortseinwohner auch Tagelöhner und junge Leute nach ihrem Vermögen freiwillig beigesteuert hatten. Die Grundlage bildeten 25 Thaler, welche zu einem Orgelbau für die hiesige Kirche der Prediger Schulze mit seinen 4 Brüdern aus dem Nachlaß ihrer Mutter spendeten. Mit der feierlichen Orgelweihe wurde von der Gemeinde die Feier des 25jährigen Dienstjubiläums des Predigers verbunden. Dieser, von seiner Gemeinde so sehr hochgeschätzte und geliebte Prediger starb am 10. Februar 1864.

 

                1864 wurde von dem Kgl Kreisbaumeister Maaß zu Gransee die Renovierung und Verschönerung des Turmes und der Kirchentür beantragt und dazu ein Kostenanschlag  von 800 Thalern gemacht. Demgemäss ist nun in diesem Jahre die Fahne mit der Jahreszahl 1819 nebst dem Knopfe vom Turm herab genommen, statt des bisherigen Schindeldaches ein Schieferdach aufgelegt, Kirche und Turm neu gefächert, über dem Eingang zum Turm ein Oberlicht mit eisernen Rahmen, am Eingang der Kirche ein Windfang hergestellt und im Innern der Kirche Fußbank- und Gesangbuchbretter angebracht worden, und  sollen heute statt des alten Knopfes und der Fahne ein 53 Zoll im Durchmesser auf den Turm, auf der Ostseite der Kirche aber ein vergoldeter Hahn aufgesetzt werden.

 

                Die Bau- und Handwerksmeister, welche diesen Bau ausgeführt haben sind folgende: der Zimmermeister Klagemann (durch den Polier Schulze aus Baumgarten), der Maurermeister Drescher (durch den Polier Stein aus Lindow), der Klempnermeister Krusemark, der Tischlermeister Gräber sämtlich aus Lindow und der Dachdeckermeister aus Neuruppin.

 

                Ueber Preußen herrscht gegenwärtig der König Friedrich Wilhelm. Landrat des Kreises Ruppin ist v. Bülow zu Neuruppin, Kgl Domainnenbeamter ist Domainenrath v. Schmidt zu Altruppin, Superintendent der Diözese Lindow und Gransee F. Breithaupt zu Lindow.

 

                Die Volkszählung ergab im Jahre 1864 für Rüthnick mit Mohnhorst 91 Pferde, 277 Stück Rindvieh, 130 Schafe, 252 Schweine, 96 Ziegen, 1 Ziegenbock, 51 Bienenstöcke, 85 Häuser, 479 Seelen, 105 Familien, 80 Schulkinder.

 

                In Rüthnick leben gegenwärtig u.a. Ockhardt als Prediger, Gustav, Theodor Hertel als Lehrer, Organist und Küster seit 1840, Hahn als Kgl Revierförster seit 24 Jahren, Maaß als Schulze, 72 Jahre alt. Meyer als Lehnschulzengutsbesitzer auf Mohnhorst, Bauer Aug. Franke und Kossätenaltsitzer Sigismund Schulze als Schöppen, Schulze Maaß und Bauer Joh. Rosenberg, Bauernalzeitzer Ernst Füllgraf und Krüger Schulze als Kirchenälteste, Schule Maaß und Joh. Rosenberg als Schulvorsteher.

 

                Bauern sind gegenwärtig hier: 1. Joh. Rosenberg, 2. Wilh. Lahn, 3. Krüger Schulze, 4. Da ist ein Salzwedel, 5. Joh. Koch, 6. Wilhelm Füllgraf, 7. Aug. Füllgraf, 8. Wilhelm Füllgraf sen., 9. Friedrich Behrendt, 10. Aug. Franke, 11. Aug. Lemm (separiert).

 

Parzelliert sind hier bereits 6 Bauernhöfe: der Frank'sche, Sell'sche, Brandenburg’sche, Bree’sche und der Berenthin’sche.

 

                Kossäten sind: 1. Aug. Gottschalk, 2. Karl Maaß, 3. Friedr. Bohm, 4. Friedr. Gottschalk, 5. Friedr. Vielitz, Gottfried Sühring, 7. Wilh. Schultze, 8. Karl Ortmann (beide letzteren separiert).

 

                Unter den 42 Brüdern in Rüthnick sind 2 Schmiede, 2 Materialisten, von denen der eine sogleich Schankwirt ist, 4 Garnweber, 4 Schneider, 1 Schuhmacher, 2 Tischler, 1 Maurer, 6 Schiffer und 1 Müller. Mit der einen der oben genannten Schmiede ist eine Chausseegeld-Hebestelle verbunden.

 

                Das Jahr 1865 ist bis jetzt sehr trocken. Der Roggen auf den Höhen ist fast ganz Verdorrt, und die Getreidepreise fangen an zu steigen. Gebe Gott, daß teure Zeit gnädig von uns abgewendet werde.

 

Wenn die vorstehenden Zeilen nach lagen Jahren etwa je einmal wieder vor das Auge oder in die Hand eines Sterblichen kommen sollten, dann werden diese Schriftzüge vergilbt, die Hand, welche sie niederschrieb, längst vermodert, und alle vielleicht, die jetzt unser friedliches Dorf bewohnen, zu Staub geworden und ein anderes Geschlecht aufgetreten sein, daß unser Werk unter Gottes Schutze fortbesteht. Mögen dann die lebenden unser sich liebend erinnern und inne werden des Wortes Davids, Psalm 103,15: „Ein Mensch ist in seinem Leben wie Gras, er blüht wie eine Blume auf dem Felde usw.“

                                               Rüthnick, den 9.Juni 1865.

Gustav Theodor Hertel, Lehrer.

 

Dieser Urkunde lag eine Scheidemünze bei: zweieinhalb Silbergroschen (12 machen einen Thaler), Jahreszahl 1863. Die Vorderseite trägt den Kopf König Wilhelms von Preußen.